Japan: Japan seit dem Zweiten Weltkrieg

Japan: Japan seit dem Zweiten Weltkrieg
Japan: Japan seit dem Zweiten Weltkrieg
 
Nach Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde an Bord eines Schlachtschiffes der US-Navy in der Bucht von Tokio begann die amerikanische Besatzung Japans. Zum ersten Mal in der japanischen Geschichte standen fremde Soldaten auf japanischem Boden, ein schweres Trauma für die japanische Führung, aber auch für die Bevölkerung. Die amerikanische Politik gegen den pazifischen Kriegsgegner Japan unterschied sich grundsätzlich von der Politik gegenüber Deutschland: In Deutschland wurden Besatzungszonen eingerichtet, die von den vier Siegermächten jeweils nach eigenen politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen — Entnazifizierung, Wiedergutmachung, Demontagen — geführt wurden. In Japan dagegen waren die USA von Anfang an entschlossen, allein die Zukunft des Landes zu bestimmen. Zwar gab es gemeinsame Gremien, in denen die elf Gegnerstaaten Japans im Pazifischen Krieg zusammen über das Schicksal Japans bestimmen sollten, aber die amerikanischen Besatzungsbehörden ignorierten Beschlüsse dieser Gremien.
 
 Japans Entmilitarisierung und Demokratisierung
 
An der Spitze der amerikanischen Besatzung stand als Supreme Commander Allied Powers (SCAP, Oberbefehlshaber der Alliierten Mächte) der amerikanische General Douglas MacArthur. Er regierte Japan selbstherrlich wie ein König; zwar gab es von Anfang an eine japanische Regierung und Verwaltung, aber über diese Organe kontrollierte SCAP das gesamte öffentliche Leben. Die Niederlage 1945 war für Japans Politik, die Wirtschaft und vor allem für die Bevölkerung nicht der gleiche tiefe Einschnitt — die Stunde null — wie in Deutschland; schon im Jahr der japanischen Niederlage hatte sich die weltpolitische Lage in Ostasien so verändert, dass Japan schnell vom geschlagenen Gegner zum wertvollen Verbündeten aufrückte: 1947 zeichnete sich bereits der Sieg der chinesischen Kommunisten unter Mao Zedong ab, in den ehemaligen europäischen Kolonien tobten blutige Guerillakriege, in Vietnam (Indochina) lieferten die Vietminh den Franzosen einen offenen Krieg, der in der französischen Niederlage bei Dien Bien Phu gipfelte, in zahlreichen Ländern zeichneten sich sozialistische Regierungen ab und Korea stand kurz vor dem Bürgerkrieg. Aus Sicht der USA musste deshalb in Ostasien der Kampf gegen den Kommunismus im Vordergrund der Globalstrategie stehen und dies prägte bald auch die Besatzungspolitik in Japan.
 
Die Sowjetunion war noch 1945 in den Krieg gegen Japan eingetreten und hatte die nördlich von Japan gelegenen Kurileninseln sowie Südsachalin annektiert, sodass Japan eine unmittelbare Grenze zur UdSSR besaß und aus amerikanischer Sicht direkt bedroht war. In den ersten Jahren nach dem Krieg hatten die amerikanischen Besatzungsbehörden entschlossen die Reste des japanischen Ultranationalismus (Faschismus) bekämpft, gegen zahlreiche belastete Politiker, Militärs und Wirtschaftsführer wurden Kriegsverbrecherverfahren eingeleitet. Sie mussten — zumindest vorübergehend — ihre Ämter und Machtpositionen räumen; aber diese Säuberungen verloren unter dem Eindruck der »kommunistischen Gefahr« schnell an Schwung, denn nicht die japanische Demokratisierung, sondern der Kampf gegen China und die Sowjetunion wurde zum Kern der amerikanischen Japanpolitik; der Kalte Krieg machte Japan zum Partner der USA. Dennoch waren etwa um 1947 alle ultranationalistischen Massenorganisationen, die Geheime Staatspolizei und andere Polizeiorganisationen aufgelöst worden; die Besatzungsbehörden hatten die Gründung von Parteien und freien Gewerkschaften ermöglicht. In der Neujahrsansprache 1946 verzichtete der Tenno in aller Form auf seine Göttlichkeit; der Weg für eine neue Verfassung war frei. Zuvor wurde jedoch den Hauptverantwortlichen für Krieg und Gewalt im Pazifik zwischen 1937 und 1945 der Prozess gemacht. In einem Schauverfahren in Tokio von Mai 1946 bis November 1948 standen 28 Hauptkriegsverbrecher wegen Verbrechen gegen den Frieden vor Gericht. Urteile ergingen schließlich gegen 25 Angeklagte — die übrigen waren vorher verstorben: 7 Kriegsverbrecher wurden zum Tode verurteilt, 16 erhielten lebenslange Haft; es gab keine Freisprüche. In Verlauf und Rechtsgrundlage der Tokioter Verfahren sahen viele Japaner Siegerjustiz und Rassismus; von den elf Richtern war nur der indische Richter Staatsrechtler — und er bezeichnete in einem Minderheitsvotum das Verfahren als völkerrechtswidrig. Die hingerichteten Angeklagten, allen voran der Kriegspremier Tōjō Hideki, werden heute im Yasukuni-Schrein für die japanischen Kriegstoten als Märtyrer verehrt. Einer fehlte vor Gericht: der Tenno. Obwohl Indien, Australien und Neuseeland sowie China und die Sowjetunion gefordert hatten, den Kaiser als Hauptverantwortlichen für den Krieg abzuurteilen, blieb er verschont; die USA, allen voran General MacArthur, deckten ihn um jeden Preis. Besonders MacArthur zeigte sich von der Persönlichkeit des Kaisers Hirohito (postum: Shōwa-Tennō) beeindruckt: Nach einem Zusammentreffen mit dem Kaiser notierte er: »Ich traf den ersten Gentleman Japans.« Aber alle Aggressionshandlungen, alle Kriegsgräuel japanischer Truppen waren im Namen des Tenno begangen worden; zweifellos war er verfassungsrechtlich verantwortlich für den Krieg; aber durch die fehlende juristische und historische Aufarbeitung der Rolle des Kaisers bleibt seine Bedeutung umstritten.
 
Im Verlauf der Auflösung ultranationalistischer Organisationen fanden in Verwaltung, Politik und Wirtschaft umfangreiche Säuberungen statt: Rund 200000 Personen verloren Ämter und Posten. Diese Säuberungen sollten sich gegen alle jene richten, die Japans Weg in die Demokratie hätten behindern können. Die Verfahren waren formalistisch und wenig gründlich, auch blieben die »Gesäuberten« nur fünf Jahre von öffentlichen Posten (Schule, Verwaltung) ausgeschlossen; im Laufe der verschärften Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion gelangten die meisten bald wieder in verantwortliche Positionen.
 
Die antikommunistische Säuberungswelle
 
Der harte Antikommunismus der Besatzungsmacht löste Ende der Vierzigerjahre einen umgekehrten Säuberungsschub aus: Jetzt wurde jeder verfolgt, der angeblich mit dem Kommunismus sympathisierte; dieser red purge (rote Säuberung) kostete wiederum Tausende von Lehrern ihre Stellung. Zweifellos war die Lage in Japan sozial brisant und »revolutionär«: Die Menschen hungerten, auf der Linken agierten mächtige militante Gewerkschaftsorganisationen (Organisationsrate: 54 Prozent!), Sozialisten und Kommunisten beherrschten die politische Szene und das bürgerliche Lager war zerstritten. In dieser Situation war für 1947 ein Generalstreik geplant, der mit Sicherheit der schwachen öffentlichen Struktur einen Todesstoß versetzt hätte und eben jene »revolutionäre Lage« geschaffen hätte, auf die Gewerkschaften und linke Parteien hofften. Der SCAP verbot den Streik und nahm damit der revolutionären Bewegung die Spitze; Gewerkschaften und sozialistische Parteien zersplitterten sich und verloren schnell an Rückhalt in der Bevölkerung, der red purge tat ein Übriges und die revolutionäre Bewegung fiel in sich zusammen. 1947 war auch eine neue Verfassung in Kraft getreten, die mit tatkräftiger amerikanischer Hilfe ausgearbeitet worden war; ihre wichtigsten Maßgaben waren das allgemeine Wahlrecht für Frauen und die politische Entmachtung des Tenno, der seither nur noch Symbol Japans ist. Vor allem aber wollten die amerikanischen Reformer Japan für immer die Möglichkeit nehmen, Kriege zu führen. Im berühmten Artikel9 der japanischen Verfassung verzichtet Japan für immer auf das souveräne Recht, Krieg zu führen, »Land-, See- und Luftstreitkräfte werden nicht unterhalten«. Der Koreakrieg entwertete diesen Artikel aber schnell; nur zehn Jahre nach Abschaffung aller japanischen Streitkräfte durch die Besatzungsmacht rüstete Japan unter amerikanischem Druck wieder auf. Heute umfasst die Selbstverteidungsarmee (japanisch jieitai) als Berufsarmee rund 300000 Mann. Die ersten freien Wahlen wurden 1946 abgehalten und Japans Frauen machten von ihrem neuen Recht lebhaft Gebrauch. Aber es gab keine klaren Mehrheiten, sodass schließlich eine konservative Koalition unter Führung von Yoshida Shigeru (»Japans Adenauer«) die Regierung übernahm. Nach nur einem Jahr im Amt stürzte diese Regierung, ein sozialistisches Kabinett trat an ihre Stelle; aber ein Korruptionsskandal — die erste von zahllosen politischen Affären in der Nachkriegszeit — beendete nach wenigen Monaten das sozialistische Zwischenspiel. 1949 kam wiederum Yoshida an die Macht, der sich mithilfe der amerikanischen Besatzungsmacht und gestützt auf eine breite konservative Mehrheit im Parlament wirkungsvoll gegen die linke Opposition durchsetzen konnte. Die gesamten Fünfzigerjahre sind geprägt von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Konservativen, den sozialistischen Oppositionsparteien und den radikalen Gewerkschaftsverbänden — allen voran den Lehrergewerkschaften.
 
Im Verlauf des Koreakriegs wurde die Linke weitgehend kriminalisiert und geschwächt; die Lage klärte sich erst, als 1955 rechts der Mitte sich mehrere bürgerlich-konservative Parteien zur heutigen Liberaldemokratischen Partei (LDP) zusammenschlossen und auf der Linken verschiedene sozialistische Parteien in das Parlament einzogen. Am äußersten linken Rand führte die Kommunistische Partei Japans (KPJ) ein Schattendasein. Die LDP stützte sich (und stützt sich noch heute) auf bäuerliche Wählerschichten und hatte hinter sich die geballte Macht der japanischen Wirtschaft; die Sozialistische Partei Japans (SPJ) verbündete sich mit den Gewerkschaften und vor allem mit der städtischen Wählerschaft.
 
 Reformversuche und Wirtschaftsboom im Nachkriegsjapan
 
Neben Demokratisierung und Entmilitarisierung waren grundlegende Wirtschaftsreformen Hauptzielsetzung der amerikanischen Besatzungsmacht. Dabei rangierten eine Bodenreform und die Zerschlagung der »Zaibatsu« genannten großen Konzerne ganz vorn. Die japanische Landwirtschaft hatte sich in den Zwanziger- und Dreißigerjahren mehr und mehr zu einer Pächterlandwirtschaft entwickelt, in der riesige Scharen verarmter Kleinpächter einer kleinen Zahl von Großgrundbesitzern, vor allem auch städtischen Grundbesitzern, gegenüberstanden. Letztere waren Lehrer, Ärzte oder Anwälte, die ihre Vermögen in landwirtschaftlichen Grund und Boden investiert hatten. 1941 waren 46 Prozent aller Bauern in Japan Kleinpächter, ein Prozentsatz, der sich bis 1945 nicht veränderte. Unter amerikanischem Druck wurde jetzt Agrarland in ganz Japan zu festen Sätzen aufgekauft und an die bisherigen Pächter zu günstigen Konditionen weiterveräußert. Auf diese Weise wurden 2 Millio- nen Hektar zu Eigentumsland für selbst arbeitende Bauern und es entstand die typische japanische Hofgröße von durchschnittlich 1 Hektar pro Familie, auf dem intensive Landwirtschaft betrieben wurde. Im Gefolge dieser Agrarreformen konnte auch die japanische Industrie profitieren: Die nicht erbberechtigten Kinder aus Bauernfamilien — meist nicht sehr gut schulisch ausgebildet — wanderten als Industriearbeiter in die städtischen Ballungszentren ab und stellen dort die billigen Arbeitskräfte besonders in den zahllosen Klein- und Mittelbetrieben, während die schulisch besser ausgebildeten Nachwuchskräfte in die Großbetriebe gingen. Die Agrarreform war das einzige Reformvorhaben, das die Besatzungsmacht erfolgreich umsetzte; die übrigen wirtschaftlichen Strukturreformen müssen letztlich als gescheitert angesehen werden. An erster Stelle ist hier der Versuch zu nennen, die riesigen Zaibatsu-Konzerne zu entflechten. Vergeblich hatten die amerikanischen Reformer sich bemüht, die verwirrenden Querverbindungen zwischen Familien-Holdinggesellschaften, Riesenbanken und zahllosen Tochterunternehmen zu kappen und die Konzerne in Einzelunternehmen aufzulösen. Was in Deutschland z. B. mit der I. G. Farben gelang, schlug in Japan fehl. Die Zaibatsu wurden zwar formell entflochten, aber sie entstanden schnell wieder als Verbundgruppen in wenig veränderter Form. Ursprünglich sollten 1200 Unternehmen entflochten werden, schließlich wurden nur 325 ausgewählt, bevor das Programm gänzlich gestoppt wurde. Immerhin wurden die fünf größten Holdinggesellschaften der Riesen-Zaibatsu Mitsui, Mitsubishi, Sumitomo, Yasuda und Fuji aufgelöst; die Rechtsform der Holding blieb bis 1996 verboten.
 
Zu den wirtschaftlich relevanten Reformen muss man auch die Umgestaltung des Erziehungswesens zählen. An die Stelle der bis 1945 üblichen Trennung von Elementarausbildung und Elitebildung trat ein einheitliches Schulsystem mit neun statt sechs Jahren Pflichtschule, anschließender Oberschul- und Universitätsausbildung, das 6-3-3-System nach amerikanischem Vorbild: 6 Jahre Grundschule, 3 Jahre Mittelschule, 3 Jahre Oberschule. Die Ausbildung wurde dezentralisiert und der Aufsicht der Gebietskörperschaften unterstellt, in jeder der 47 neuen Präfekturen wurde eine staatliche Universität gegründet, aber auch die privaten Universitäten erlebten eine Blüte. Aus der Vorkriegszeit wurde jedoch ein Grundwert übernommen, der das japanische Schulsystem wahrscheinlich zum effizientesten der Welt machte: Schulischer Erfolg beruhte auf hartem Wettbewerb. Der Aufstieg in die jeweils höheren Schulstufen und nicht zuletzt die Aufnahme in eine gute Universität konnten nur über rigorose Prüfungsauslese erfolgen; Japans Kinder und Jugendliche arbeiteten sich — und tun es noch heute — von einer »Prüfungshölle« zur anderen. Mädchen und Jungen erwarben ein gewaltiges Faktenwissen mit Schwerpunkten in naturwissenschaftlichen Fächern; in den Fünfziger- und Sechzigerjahren — bis weit in die Achtzigerjahre — produzierte das japanische Schul- und Universitätssystem eben jene belastbaren, hervorragend vorgebildeten jungen Arbeitskräfte, die in den Unternehmen des Landes das Heer der disziplinierten und aufopferungsvollen Arbeitskräfte stellen, die zur Grundlage japanischer Exporterfolge wurden. Bis heute gibt es in Japan keine duale Ausbildung; junge Anfänger gehen von den Universitäten und Colleges weg in die Unternehmen und werden dort im Rotationsverfahren nach den Bedürfnissen des Unternehmens ausgebildet. So investieren diese Unternehmen in ihren Nachwuchs sehr viel, aber diese Investitionen zahlen sich aus, da japanische Arbeitnehmer — noch immer, trotz der Krise — lebenslang in einem Unternehmen verbleiben; ein großer Arbeitsmarkt ist erst in Ansätzen erkennbar. Wechselseitige Loyalität zwischen Unternehmen und Mitarbeitern festigten die Erfolge der japanischen Wirtschaft in der Aufbauphase. Frauen hatten in diesem System keinen Platz, sie wurden in die innerbetrieblichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen nicht einbezogen; ihr Platz war zuerst — als junge Frauen — in Massen an den Fließbändern, dann — als Hausfrauen und Mütter — in den Familien. Gleichberechtigung im Arbeitsleben war und ist ein Fremdwort in Japan.
 
 Japans Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen
 
Noch vor der Wiedererlangung der nationalen Unabhängigkeit begann Japan seine diplomatischen Beziehungen zu Nachbarstaaten in der Region wieder zu normalisieren. Die Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte wurde mit jenen Staaten vollzogen, die auf Reparationen verzichtet hatten, so etwa Indien, mit dem Japan schon 1952 einen bilateralen Vertrag über die Aufnahme von Beziehungen unterzeichnete. Fast ebenso schnell gelang die Normalisierung des Verhältnisses zu den Ländern, die Japan im Pazifischen Krieg zwar besetzt hatte, denen es aber (ungewollt) zur nationalen Unabhängigkeit verholfen hatte (Birma 1954, Philippinen 1956) und mit Ländern wie Indonesien (1958) und Süd-Vietnam (1959). Hier waren es vor allem Reparationsforderungen, die einer schnelleren Normalisierung im Weg standen, aber es gelang der japanischen Diplomatie durch geschicktes Verhandeln, die Reparationsvereinbarungen de facto als Handelsverträge zum Bestandteil der frühen japanischen Exportstrategien zu machen. Sehr viel länger dauerte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Süd-Korea, obwohl die Handelsbeziehungen schon 1952 wieder aufgenommen worden waren. Japan hatte wirtschaftlich enorm vom Koreakrieg profitiert, denn als Hinterland des Kriegsschauplatzes war es Nachschubbasis und Urlaubsland für amerikanische Soldaten und UNO-Angehörige; japanische Unternehmen belieferten die UNO-Truppen. In den drei Jahren des Kriegs verdoppelten sich die Industriekapazitäten Japans. Die südkoreanische Führung hatte mit großer Bitternis gesehen, wie Japan aus dem Krieg Nutzen zog; der Hass auf die ehemaligen Kolonialherren wuchs. Dieser koreanische Hass war nur ein Hindernis, ein anderes waren die vielen Exilkoreaner in Japan — die koreanische Minderheit zählt noch heute etwa 650000 Menschen —, von denen zwischen 1959 und 1962 gegen den Willen Süd-Koreas 76000 nach Nord-Korea ausreisten. Erst 1965 wurden bilaterale diplomatische Beziehungen aufgenommen, begleitet von wütenden Protesten in Süd-Korea: Durch die Medien gingen Bilder fanatischer koreanischer Studenten, die sich vor der japanischen Vertretung Finger abhackten, um ihrem verzweifelten Widerstand Ausdruck zu verleihen.
 
 Scheitern der vereinigten Linken und Japans wirtschaftlicher Aufschwung
 
Nach Festigung des »1955er-Systems« gingen wechselnde japanische Regierungen daran, das Bündnissystem mit den USA zu reformieren. Der bilaterale Sicherheitsvertrag zwischen beiden Staaten war aus konservativer Sicht demütigend für Japan; die USA hatten jedoch eine Revision ohne japanische Verteidigungsanstrengungen abgelehnt. Jetzt verfügte Japan über eigene Streitkräfte, und 1957 konnte der damalige Regierungschef Kishi Nobusuke eine Revision in Angriff nehmen. Kishi war als Kriegsverbrecher angeklagt gewesen und hatte ohne Urteil bis 1948 in Haft gesessen. Unter Kriegspremier Tōjō war er von 1941 bis 1944 Handels- und Industrieminister gewesen. Die Tatsache, dass er nach dem Krieg Ministerpräsident werden konnte, wirft ein trübes Licht auf Japans Verhältnis zur eigenen jüngeren Vergangenheit; ein Vergleich mag das verdeutlichen: Kishi als Premier hätte in Deutschland entsprochen, Albert Speer zum Bundeskanzler zu machen. Die USA tolerierten solche denkwürdigen politischen Entwicklungen, zumal sie nach Ende der Besatzungszeit im Friedensvertrag von San Francisco 1951 und dem anschließenden Sicherheitsvertrag nur noch indirekt Druck auf Japan ausüben konnten und ihnen im Kalten Krieg ein konservatives Japan allemal lieber war. Gegen erbitterten Widerstand der parlamentarischen Opposition, gegen Proteste der Gewerkschaften und vor allem in heftigen Auseinandersetzungen mit der radikalen Studentenbewegung (Verband »Zengakuren«) peitschte Kishi die Revision des Sicherheitsvertrages 1960 durch das Parlament. Die Opposition blockierte den Sitzungssaal; Kishis Konservative tagten heimlich in einem Seitentrakt des Parlaments und stimmten ab. In den Straßen tobten Schlachten zwischen Studenten und Polizei; sechs Millionen Bürger leisteten Widerstand; eine Studentin wurde getötet und 500 Menschen erlitten Verletzungen. Der Kampf gegen die Verlängerung und Revision des Sicherheitsvertrages ging als »Anpo« in die Biographien einer ganzen Generation ein: Zum letzten Mal hatte sich die vereinigte Linke gegen das konservative Machtmonopol zur Wehr gesetzt — und war gescheitert. Einziger Erfolg der linken Widerstandsbewegung: Der damalige amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower musste seinen Staatsbesuch in Japan absagen. Kishi trat zwar zurück, aber der Sicherheitsvertrag gilt noch heute. Die Generation der gescheiterten Linken resignierte und machte sich nun daran, das große Geld zu verdienen; das Ende der Widerstandsbewegung markiert den Beginn des japanischen Wirtschaftswunders. Diese Entwicklung spiegelte sich in den folgenden Wahlsiegen für die Konservativen: Schon im November 1960 erreichte die Regierungspartei LDP in den Parlamentswahlen 58 Prozent aller Stimmen, die Linke landete abgeschlagen und zersplittert. Der konservative Triumph hatte zwei Konsequenzen, die zur Voraussetzung für den folgenden Wirtschaftsaufschwung wurden: Japan band sich eng an die USA und konnte unter dem amerikanischen Atomschutzschild, ohne nennenswerte eigene Rüstungsausgaben, alle Kräfte auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren, und im Innern wurde ein konservatives Herrschaftsmonopol zementiert, das 35 Jahre lang unangefochten blieb.
 
 Japans Aufstieg und Krise
 
Das Jahrzehnt 1961 bis 1970 sollte eine Epoche der »Verdoppelung des Volkseinkommens« werden, das hatte die japanische Regierung propagiert. Eine ganze Nation konzentrierte ihre Kräfte auf die wirtschaftliche Entwicklung. Hinter hohen protektionistischen Mauern aus Zöllen und Abgaben entwickelte sich erst die Leichtindustrie (Textilien, optische Geräte), dann die Schwerindustrie (Stahl, Schiffbau) zu internationaler Konkurrenzfähigkeit. 1965 hatte Japan bei Gütern der Schwerindustrie bereits das Niveau Westdeutschlands und Großbritanniens erreicht, 1967/68 war das Ziel der Verdoppelung des Volkseinkommens erreicht. Zu Beginn der Siebziergerjahre hatten japanische Produkte auf vielen Weltmärkten die Konkurrenz ausgeschaltet: Hohe Stückzahlen, niedrige Lohnkosten, beste Qualität und bald auch erstklassige Technologie ließen Japans Unternehmen zur Weltspitze aufsteigen. Hohe Investitionsraten bei billigem Kapital aus den gewaltigen privaten Spareinlagen, die Bereitschaft, überall auf der Welt zu lernen und große Summen für ausländisches Know-how auszugeben, taten ein Übriges. Japans Unternehmen setzten Patente und Lizenzen aus aller Welt ein, intensivierten aber zugleich die eigenen Forschungsanstrengungen, sodass gegen Mitte der Siebzigerjahre bereits von einem eigenen japanischen industriellen Know-how gesprochen werden kann. Symbol für diese Leistungen ist der Superschnellzug »Shinkansen«, der schon 1964 mit fast 300 Stundenkilometern zwischen Tokio und Osaka verkehrte. Als 1964 die Olympischen Spiele in Tokio veranstaltet wurden, konnte die Welt feststellen, wie schnell sich die japanische Wirtschaft von den Schäden des Kriegs erholt hatte. 1968 erwirtschaftete Japan ein höheres Bruttosozialprodukt als die Bundesrepublik Deutschland und war damit hinter den USA zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht des Westens aufgerückt. Die Politik hatte die Entwicklungsanstrengungen der japanischen Wirtschaft mit Rahmenplanungen (Devisenkontrollen, Kreditzuweisungen) begleitet; jedoch ist der Eindruck falsch, dass Japans legendäres MITI (Ministry of International Trade and Industry, Wirtschaftsministerium) die japanischen Unternehmen als strategisches Superministerium angeleitet hätte. Die japanische Autoindustrie expandierte sogar gegen den ausdrücklichen Rat des MITI. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass die rasche wirtschaftliche Entwicklung auch durch eine schnell steigende Binnennachfrage getragen wurde: Die drei »C« ließen die Elektroindustrie boomen, jeder wollte einen car, cooler, color-TV (Auto, Klimagerät, Farbfernseher).
 
Distanz zu den USA und Grenzen des Wachstums
 
Die Politik hatte aber auch zugelassen, dass im Zuge der rasanten Wirtschaftsentwicklungen ungeheure Umweltschäden angerichtet wurden: Über Japans Städten hingen stickige Smogwolken, Gewässer waren schwer belastet, es kam zu schweren Umweltvergiftungen, die beispielsweise die Minamata-Krankheit oder das Yokkaichi-Asthma nach sich zogen. Ende der Siebzigerjahre aber waren auch diese Schäden beseitigt, wenn auch die vielen Opfer der Umweltschäden bis heute noch nicht vollständig entschädigt sind. Die Siebzigerjahre setzten Japan aber auch anderen, diesmal äußeren Belastungen aus: Zwei große Ölschocks — die künstliche Verknappung von Öllieferungen 1972 und 1979 — brachten Japans energiehungrige Industrien in Bedrängnis; die japanische Regierung reagierte mit einem forcierten Ausbau der Kernenergie. 1972 nahmen die USA ohne Abstimmung mit Japan, ihrem wichtigsten Verbündeten in Asien, diplomatische Beziehungen zu China auf; die japanische Regierung war blamiert. Offiziell hatte man die amerikanische Vietnampolitik treu gestützt, wenn auch die japanische Bevölkerung mehrheitlich den amerikanischen Krieg in Vietnam verurteilte. Jetzt fühlte die japanische Politik sich von den USA verraten, es begann eine langsame, aber erkennbare Abkühlung zwischen Washington und Tokio, das seinerseits Ende 1972 diplomatische Beziehungen zu China aufnahm. 1978 schlossen Japan und China — gegen den Willen der USA — sogar einen Friedens- und Freundschaftsvertrag. Die Beziehungen zu den USA gründeten zwar unverändert auf dem bilateralen Sicherheitsvertrag und auf gemeinsamen außenpolitischen Interessen, aber sie wurden zunehmend getrübt durch Handelsreibereien, denn immer wieder warfen die USA japanischen Unternehmen unfairen Wettbewerb vor.
 
Die Achtzigerjahre werden in die Geschichtsschreibung als das Jahrzehnt der bubble economy (Seifenblasenwirtschaft) eingehen. In einem schier unendlichen Boom weitete sich die japanische Wirtschaft aus, Japans Unternehmen erzielten immer neue Exporterfolge, die Binnennachfrage boomte und der Yen — die japanische Währung — war künstlich unterbewertet gegenüber dem US-Dollar und förderte so die Ausfuhren. Das Ende des Booms kündigte sich 1985 an: Im Plaza-Abkommen — nach dem Plaza-Hotel in New York — kamen die Staaten der G7-Gruppe überein, den Yen endlich frei auf den internationalen Devisenmärkten zu handeln; in der Folge schoss der Yen gegenüber dem US-Dollar steil nach oben, von anfangs 180 Yen auf zeitweise 90 Yen für 1Dollar. Damit verteuerten sich die japanischen Exporte enorm und die japanischen Unternehmen verloren wichtige Marktanteile, z. B. an koreanische Konkurrenten. Durch Rationalisierungsmaßnahmen, Produktionsverlagerungen in das (billigere) Ausland und aggressive Exportstrategien überstanden die großen japanischen Unternehmen die Krise, aber viele Klein- und Mittelbetriebe mussten schließen. Ende der Achtzigerjahre wurden dann aber auch die Großen getroffen, allen voran die Banken: Die »Seifenblase« platzte.
 
Krisen in Wirtschaft und Politik
 
Jahrelang hatten Japans Großbanken Riesenkredite gegen Grundstückswerte als Sicherheiten ausgereicht, ab 1987 zeigte sich aber, dass die Grundstückswerte grotesk überbewertet waren. Sie waren zum angenommenen Preis nicht am Markt abzusetzen und so fehlte den verschuldeten Unternehmen das Geld, um Kredite zu verzinsen und zu tilgen. Die Banken saßen über Nacht auf gewaltigen Summen »fauler Kredite«, die nicht bedient wurden. Zugleich brachen die Aktienmärkte ein, innerhalb weniger Tage verlor der Aktienmarkt von Tokio über die Hälfte seines Wertes — der Nikkei-Index sackte von 39000 Punkten auf 15000 Punkte ab; Japans Banken hatten nicht nur in Japan Riesensummen fauler Kredite angehäuft, sondern waren auch durch leichtsinnige Geschäfte in Südostasien in die folgende Asienkrise gezogen worden. Die Achtzigerjahre waren die verlustreichsten Jahre für Japans Banken und Unternehmen; bis heute ist die genaue Höhe der Verluste nicht bekannt; Schätzungen von umgerechnet mehreren Billionen DM sind sicher nicht zu hoch gegriffen.
 
Die Siebziger- und Achtzigerjahre waren auch Krisenepochen in der japanischen Politik. Die japanische Demokratie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Korruptionsskandal begonnen, und die Tradition politischer Bestechlichkeit setzte sich ungebrochen fort: Zahllose Politiker mussten zurücktreten, weil sie Bestechungsgelder aus der Wirtschaft angenommen hatten. 1976 wurde sogar ein Regierungschef wegen passiver Bestechung verhaftet: Tanaka Kakuei hatte vom amerikanischen Flugzeugbauer Lockheed drei Millionen Dollar erhalten, damit Lockheed die innerjapanische Fluglinie ausrüsten durfte. Solange die japanische Wirtschaft boomte, ging die japanische Öffentlichkeit mit Zynismus und Gleichgültigkeit über die Korruptionsaffären der politischen Klasse hinweg; mit Beginn der Wirtschaftskrise aber verschärfte sich die Kritik an solchen Auswüchsen: Die Achtzigerjahre signalisierten einen Umschwung in der Politik, der dann Mitte der Neunzigerjahre vollzogen wurde: Japans Politik wurde »sauber«. Der Ausklang der Achtzigerjahre markiert durch ein einzelnes Ereignis auch das Ende der Nachkriegszeit: 1989 starb Kaiser Hirohito, nach seiner Throndevise »Shōwa« wird er jetzt offiziell Shōwa-Tennō genannt. Selten hat es eine unglücklicher gewählte Devise gegeben: »Shōwa« bedeutet »erleuchteter Friede«, und unter dieser Devise hat Japan seine blutigsten Kriege geführt.
 
Prof. Dr. Manfred Pohl
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Japans Krieg in Asien und im Pazifik
 
 
Hartmann, Jürgen: Politik in Japan. Das Innenleben einer Wirtschaftsweltmacht. Frankfurt am Main u. a. 1992.
 Hentschel, Volker: Wirtschaftsgeschichte des modernen Japans. 2 Bände Stuttgart 1986.
 Piper, Annelotte: Japans Weg von der Feudalgesellschaft zum Industriestaat. Neuausgabe Köln 1995.
 Pohl, Manfred: Japan. München 31996.

Universal-Lexikon. 2012.

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